Endlich zurück auf Asphalt.

So fröhlich-forsch, wie ich diesen Weg Richtung Osten unter die Räder genommen habe,
so erleichtert fühle ich mich jetzt, Schlamm und Blutsauger hinter mir gelassen zu haben.

Auf einer kleinen Geflügel-Farm finde ich eine Gelegenheit,
auch die AT und meine Kombi mittels Wasserschlauch von der gröbsten Kruste zu befreien.

Ein halbes Stündchen später frage ich im Zentrum Apatitys einen jungen Mann nach einem Hotel.
Der erklärt mir den Weg in bestem Deutsch.
Und fragt, wo ich bisher so übernachtet hätte.

„Im Zelt? Das dürfen Sie hier niemals machen!“

„Warum nicht? Ist das verboten?
Oder laufe ich Gefahr, ausgeraubt zu werden?“

„Sie laufen Gefahr, gefressen zu werden.
Die Bären hier sind wirklich gefährlich.“

Ich denke an die letzte Nacht, die ich irgendwo in der Taiga verbracht habe
und schicke schnell ein kleines Dankgebet an den Bärengott.

Der letzte Rest der Anspannung fällt bei Palatschinken und einem Schoppen georgischen Saperavi- Weines.
Zwei Stockwerke tiefer wartet ein Hotelbett auf mich.
Diese Nacht werde ich schlafen wie ein Stein.

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Beim Frühstück ziehe ich Bilanz meiner bisherigen Kola-Erkundungen:
Keine spektakulären Mineralienfunde.
Kein kühlendes Fußbad an den weiten Ufern des Umbozero.
Und erst recht keine Audienz bei seiner Majestät, dem Elch.

Aber vom Erleben der Weite und wilden Ungezähmtheit dieser Welt bin ich noch immer berauscht.
Allein schon dafür hat sich die Reise gelohnt.
Die gestrigen Abstecher lassen mich auch die Fähigkeiten der AT in ganz neuem Licht sehen.
Genauso wie die Grenzen meiner guten Laune.
Also alles in allem ein durchweg positives Resümee.
Zumal wenn ich den glücklichen Umstand einberechne, keinem Bären begegnet zu sein.
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Die M18 trägt mich weiter nach Norden.

Links und rechts leuchten im warmen Licht der Polarsonne
Tundragebirge vor blauem Himmel.
Vor mir aber steht eine Dunstglocke, die ein Viertel des Horizontes verdeckt
und mit dem Näherkommen wächst, bis sie mich verschluckt.

Montschegorsk.
Auf Deutsch: Schöner Berg.

Der Wind wirbelt riesige Staubwolken aus den verlassenen Tagebauen und treibt sie nach Nordwesten in die Taiga.
Hochspannungsleitungen verlieren sich im Qualm der Hochöfen.
Fast fünfzigtausend Menschen leben in dieser atemberaubenden Stadt.

An einem Bahnübergang blinkt die rote Lampe.
Drei Loks ziehen im Schritttempo eine Eisenschlange durch den Dunst.
Ich spüre die Vibrationen im Asphalt bei jedem Rad, das über den Schienenstoß rollt.
Beim hundertsten Wagon höre ich auf zu zählen.
Eine Ende des Zuges ist nicht zu erkennen.

Das heimische Erz ist aufgebraucht.
Was heute hier verhüttet wird, kommt aus Sibirien.

Dreißig Kilometer weiter nördlich flüstert mir eine schmale, nach Osten führende Asphaltstraße das vage Versprechen zu,
mich doch noch zum Umbozero zu bringen.
Ich lasse mich gern darauf ein.

Die Samstag-Nachmittag-Sonne gibt ihr Bestes.
Das Bord-Thermometer verkündet 29°C.
An einem Flüsschen parkt ein dutzend PKW, viele mit Hängern.
Männer und Frauen stehen im Wasser und fangen mit Netzen Fische ab,
die flussaufwärts ziehen und an den Stromschnellen das Wasser zum Brodeln bringen.
Kinder schleppen Körbe voller zuckender Silberleiber.

Als ich die Kamera aus dem Tankrucksack ziehe, wird mir unmissverständlich klargemacht,
dass ich dabei bin, einen Fehler zu begehen.
Ich sehe das sofort ein und fahre meines Weges.

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Südlich des Städtchens Rewda liegen die Berge der Lowosero Tundra.
Die Reste einer Straße führen mich in das verlassene Bergwerk.

Unter Geologen ist diese Mine weltweit bekannt, auch wenn sie heute geflutet ist.
Von hier stammen Minerale, die sonst nirgendwo anders zu finden sind.

Auch den Umbosero bekomme ich endlich zu sehen,
etwas vernebelt vom Staub aus den vertrockneten Klärbecken des Bergwerkes.

Ich weiß nicht, woraus dieser Staub besteht.
Aber ich weiß, dass hier auch Schwermetalle und radioaktive Minerale gefördert worden sind.

Wenige Kilometer weiter finde ich endlich das, wonach ich gestern schon im Chibiny-Gebirge gesucht hatte: Einen aufgelassenen Steinbruch.

Frisch zertrümmertes Gestein zeugt davon, dass hier regelmäßig Mineralien-Jäger unterwegs sind.
Ich wühle in den Bruchstücken und finde einige Schätze.

Jetzt fehlt nur noch ein Elch.

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Das Erste, was ich im Vorbeifahren wahrnehme,
sind die Einschusslöcher.
Wahrscheinlich haben Jäger das Blechschild als Zielscheibe benutzt.

Aber da stand auch was geschrieben.
Ich versuche, das vage Abbild des Textes aus meinem visuellen Kurzzeitgedächtnis zu rekonstruieren:
Саамскaя Деревня?
Sami-Dorf?
Ich wende und folge dem schmalen Sandweg durchs Gebüsch.

Das Dorf wird im Sommer von einem einzigen Mann bewohnt, der uns bereitwillig herumführt. Außer mir hat noch ein russisches Paar hergefunden.
Zuerst müssen wir beten und opfern.
Der Same fragt nach meinem Geburtsdatum und weist mir den Windpfahl zu.
Die junge Russin schenkt mir einige Kopeken, die ich in die Ritzen des Holzes stecken kann.
Ich revanchiere mich mit Cent-Münzen, die sie vor dem Sonnen-Pfahl deponiert.

Bild

Wir knuddeln Hunde, bestaunen magere Silberfüchse in ihren Käfigen
und kommen in der verqualmten Zeltkote ein wenig ins Husten.

Dann drückt mir der Chef eine große Plastiktüte voller Brotscheiben in die Hand und pfeift.
Aus dem Wäldchen stürmt ein Rudel Rentiere auf mich zu,
umringt mich und lässt erst von mir ab, als ich die letzte Brotscheibe
in eines der weichen Mäuler geschoben habe.

Der stärkste der Böcke darf die Russin ein paar Meter tragen.

Zu guter Letzt zückt der Same verschmitzt lächelnd sein WLAN- Kartenlesegerät.