oder
Mein alter Traum.
Vor nunmehr 25 Jahren hatte ich schon mal versucht, die Ostsee komplett zu Lande zu umrunden.
Per Anhalter damals. Vergeblich, aber das ist eine eigene Geschichte.
Die Straßen über den Großen Belt und den Öre-Sund gab es damals noch nicht, so dass ich doch irgendwann mit Fähren über Ostseewasser schippern durfte.
Heute gibt’s keine Ausreden mehr.
Landweg ist Landweg. Auch wenn das Land partiell aus Beton ist und Brücke heißt.
Meine neue Begleiterin ist eine Africa Twin, Bj. 2016, mit Schaltgetriebe und ABS.
Ich hatte schon Gelegenheit, mich auf und auch abseits von Straßen schwer in sie zu verlieben.
Aber ob es zur wirklich großen Liebe reicht, wird sich erst rausstellen.
Ende Juni. Die Zwölftausender-Durchsicht ist erledigt, obwohl nicht mal 7000 auf der Uhr stehen.
Das Gepäck ist verschnürt, die Ersatzreifen haben es sich in einem Extra-Gestell auf dem Rücksitz bequem gemacht.
Schnell hole ich noch – für alle Fälle – eine Buddel Öl zum Nachfüllen bei meinem freundlichen Fachhändler.
Der ist wirklich freundlich und schießt auch das Start-Foto.
Den späten Sonnenuntergang will ich nutzen, um Strecke zu machen.
Irgendwo tief im Polnischen werde ich das erste Mal mein Zelt aufstellen.
Autobahn? So eilig hab ich’s auch wieder nicht.
35°C, manchmal auch 37°C zeigt das Bord-Thermometer. Ich nutze jeden Ampelstopp,
um mir aus einer Plastikflasche Wasser über die Kombi und in die Handschuhe zu gießen.
Irgendwo in Sachsen.
Umleitung.
Sackgasse.
Frei bis Baustelle.
Am Wochenende ist das erfahrungsgemäß eine leere Drohung.
Vor allem, wenn man mit Bodenfreiheit und Federwegen nicht geizen muss.
Aber 12km weiter fehlt unvermittelt die Straßenbrücke über ein kleines Flüsschen -Schiet!
Ich fahre Waldwege entlang des Flüsschens und finde einige km weiter eine Radwegbrücke.
Sieht stabil aus, und es guckt grad keiner.
Als die Dämmerung hereinbricht, fällt das Thermometer endlich unter die 30-Grad-Marke.
Zwei Stunden später baue ich in nächtlicher Stille und Dunkelheit neben einem Waldweg das Innenzelt als Mückenschutz auf
und schlafe tief und fest, bis mich pünktlich gegen 6 ein Sommerschauer weckt.
Dann wieder ein Tag durch glühende Luft und flimmerndes Licht über endlose feldbefleckte Ebenen,
durch komatöse Dörfer, erste Erntekolonnen überholend, im nachmittäglichen Stop-And-Go durch das hitzewabernde Warschau,
bis ich wenige Kilometer vor der belarussischen Grenze ein Hotelchen finde.
Duschen, schlafen.
Morgen will ich der Erste an der Grenze sein, um mir stundenlanges Anstehen in der Hitze zu ersparen.
5 Uhr morgens: Die polnischen Pass- und Zollkontrollen nehmen ca. 30 Sekunden in Anspruch.
Der weißrussische Posten hat noch geschlossen.
Aber ich bin ausgeruht und habe mich mit Tiefenentspannung gewappnet, denn ich ahne schon, was kommt.
Nach einer Stunde zieht Leben ein, und eine sehr aparte junge Frau,
dezent geschminkt, edles Parfüm, perfekt sitzende Uniform,
erbittet sich freundlich meinen Reisepass, mein Visum, meine Fahrzeugpapiere, meine KFZ- sowie meine Krankenversicherung
und händigt mir im Gegenzug einige leidlich lesbar kopierte Fragebögen zum Ausfüllen aus.
In Din-A4- Format.
Mit weißrussischen Schriftzeichen.
Die kann ich zwar zur Not buchstabieren, aber beileibe nicht übersetzen.
Macht nichts, dafür gibt es einen Schalter mit einer aufgedonnerten Blondine dahinter,
die, ohne eine einzige Frage an mich zu richten, alles für mich ausfüllt.
Aber sie gibt mir die Zettel nicht zurück.
Ich muss diese Dienstleistung erst bezahlen.
Und zwar mit achtzigtausend weißrussischen Rubeln.
Das sind ca. 4 Euro, aber Euro nimmt sie nicht.
Also reihe ich mich in die Schlange vor dem Wechselschalter ein, der in einer halben Stunde öffnen wird.
Als ich mit einem gewaltigen Stapel von Geldscheinen wieder am ersten Schalter eintreffe, ist die Blondine eben mal schnell frühstücken gegangen.
Kurz und gut: Drei Stunden nach Abgabe habe ich meinen Reisepass nebst diversen anderen Zetteln mit vielen Stempeln wieder in den Händen.
Zwischendurch haben Zoll-Offiziere mit ihren Lehrlingen mein Gepäck gründlichst inspiziert,
an der Zahnpasta gerochen und ins Batteriefach vom Fotoapparat geschaut.
Dann muss ich nur noch nacheinander drei Schlagbaum- und MP-bewaffnete Posten passieren,
die nochmal meinen Reisepass begucken, sich aus meinem Zettelwust was herausfischen, abstempeln, darauf herumkritzeln oder ihn gegen andere Zettel eintauschen.
Ich passe peinlich genau auf, alle erhaltenen Zettel gut zu verstauen.
Aus Erfahrung weiß ich nämlich, dass ein einziges fehlendes "Dokument" bei der Ausreise heftige Komplikationen auslösen kann.